“Wenn ich mal Kinder hab…” – die ideale Welt und deren Untergang
Wenn ich mal Kinder habe, mache ich das aber anders! Unmöglich, dass dieses Kind schon eine Milchschnitte zum Frühstück bekommt! Und dass die Mama ihr Kind da an der Kasse so rumplärren lässt. Hat der 2-Jährige da etwa ein Handy in der Hand? Unglaublich!
Stubenrein bis 2, Zuckerfrei bis 3, keine Medien bis 4- was gibt es nicht alles für Ideale, Wünsche und Vorstellungen. Erstrebenswert? Vielleicht. Realistisch? Eventuell. Aber nicht für jedes Kind bzw. für jede Familie.
Mit der Geburt des ersten Kindes oder spätestens mit den ersten schlaflosen Nächten oder allerspätestens mit dem eigenen Willen des Kindes ändert sich dann so einiges. Dann trennen sich die Ideale, die man ganz schön findet, von denen, die einem wirklich wichtig sind. Ist ja eigentlich auch ganz praktisch.
Einer unserer Favoriten: Bestechung
“Niemals würde ich mein Kind bestechen! Was soll es denn bitte dadurch lernen!? Wenn man den Kindern Dinge ordentlich erklärt, dann geht das doch auch ohne!”
Und dann kam Kind 1 auf diese wundervolle wertorientierte Welt. Alles noch gut. Die ersten Monate macht man sich nicht mehr viele Gedanken über die Werte. Man orientiert sich ja ohnehin an den Bedürfnissen des Babys und ein Säugling ist ja auch noch nicht bestechbar. Heikel wird es erst später. Dann schwupps -auf einmal ist er da, der eigene Wille! Erst freuen wir uns und müssen schmunzeln, weil der liebe Nachwuchs sich so süß aufregen kann, wenn er nicht mit dem Ladekabel spielen darf.
Weniger süß wird es dann etwas später, wenn das Kind nicht so will, wie wir wollen. “Wir müssen jetzt aber die Jacke anziehen! Wir haben gleich einen Termin beim Arzt.” – “Wäääh. Nein!” … wenn man den Kindern die Dinge nur ordentlich erklärt, dann geht das doch! Also neuer Versuch: “Draußen ist es kalt. Schau mal aus dem Fenster! Der Wind weht sogar. Komm ich helfe dir die Jacke anzuziehen und dann fahren wir mit dem Auto zum Arzt.” – “Wäääh. Nein!” – Mist, ich hätte früher anfangen müssen. Ist schon ganz schön spät. “Komm, du darfst dir auch aussuchen, ob du diese Jacken anziehen willst oder diese. Oh schau mal, da sind sogar Sterne drauf.” – Das Kind hat die Garderobe verlassen. Puh. Wir kommen zu spät! “Wenn du jetzt die Jacke anziehst, bekommst du auch noch einen Obstriegel auf dem Weg.” Und da ist es passiert! Das Unheil nimmt seinen Lauf! Die erste erfolgreiche Bestechung, die Tür und Tor öffnet für beschleunigte Abläufe, schreifreie Übergange und überhaupt für eine EINFACHERE WELT!
Die erste Bestechung fühlt sich vielleicht ja auch noch nicht so schlimm an. Es gab ja immerhin einen Obstriegel und keine Gummibärchen und hey, wir haben es immerhin pünktlich zum Arzt geschafft ohne das jemand geweint hat. Das Schlimme ist eher das Erfolgserlebnis! Endlich haben wir wieder einen Hebel, der sogar ziemlich souverän funktioniert. Gut, wir müssen uns schon mit der Zeit steigern: irgendwann wird aus dem Obstriegel doch ein Gummibärchen, aus dem Gummibärchen Schokolade und aus der Schokolade irgendwann eine Folge Paw Patrol… the sky is the limit…
Je nach der Anzahl an Zuschauern oder meinem Erschöpfungsgrad bin ich mehr oder weniger spendabel bei meinen Anreizen. Totmüde um 8:15h beim Kinderarzt, wenn das Kind nicht tut, was es soll – da würde ich schonmal meine Seele verkaufen oder dem Kind die komplette Paw Patrol Kommandozentrale. Das haben die lieben Kleinen aber wohl noch nicht durchschaut. Zumindest hab ich das eine NOCH und das andere NOCH NICHT. Vielleicht hebe ich mir das aber auch besser für einen Langstreckenflug oder ähnliches auf.
Immerhin erinnere ich mich ja dunkel daran , dass ich das eigentlich nie machen wollte! Ich höre Podcasts und lese Bücher darüber warum man nicht loben, nicht schimpfen und schon gar nicht bestechen soll. Und dann scheitere ich einfach wieder an der Praxis oder viel mehr an meinen eigenen Grenzen: Müde, Hunger, Pippi, kalt… ihr wisst Bescheid! Aber auch das ist eine Erkenntnis und so hebe ich mir die Bestechungen nur noch dafür auf, wenn ich wirklich wirklich nicht mehr kann. Nach einem Ganztagesausflug bei 35 Grad wird das duschunwillige Kind mit einer Folge Feuerwehrmann Sam in die Dusche gelockt. Dafür ist es mir am Morgen gelungen -nur durch mein Feingefühl und Argumentationsgeschick, ist ja klar- die Crew ins Auto zu verfrachten und mittags mit Sonnencreme einzucremen und das Eis gab es einfach so, weil das Wetter so schön war.
“Du könntest noch kurz den Müll runterbringen Schatz, ich hab schon die Badewanne eingelassen.” – hat ja niemand gesagt, dass man seinen Partner nicht bestechen darf, oder? Ein Erfolgserlebnis hat man sich am Ende des Tages ja dann wohl verdient!